Donnerstag, 21. März 2024, Hofgeismarer Allgemeine / Titelseite
Von Russland überfallenes Land benötigt auch zivile Hilfe
Helfer fahren in die Ukraine
VON GERD HENKE
Kreis Kassel/Kiew
– Militärexperten befürchten, dass die ukrainische Armee ihre Verteidigungsstellungen an der Front im Osten
des Landes nicht mehr allzu lange wird halten können. Es mangelt an frischen Einsatzkräften, an Waffen, an Munition.
„Wir hören von unseren ukrainischen Freunden und Partnern, dass die Situation im ganzen Land wesentlich prekärer ist als noch
vor einem Jahr“, sagt Ottmar Rudert (Ostheim), der mit seinem Partner Günter Rüddenklau (Westuffeln) die Ukraine seit Kriegsbeginn unterstützt. Gerade deshalb sei die zivile Hilfe, die Nordhessen
leistet, wichtiger denn je.
Begleitet von HNA-Redakteur Gerd Henke sind die beiden heute Morgen aufgebrochen, um die von ihrer Südosteuropa-Hilfe betreuten
Einrichtungen wieder aufzusuchen. „Wir müssen uns selber vor Ort einen Eindruck davon verschaffen, was für unsere ukrainischen Partner am dringlichsten ist und was wir dazu beitragen können, die
Not zu lindern.“ Mit ihren Pickups nehmen sie heute zunächst Konserven, Sanitätsartikel, Rollstühle und Rollatoren mit in die Ukraine. Die Spendengüter sind für ein Krankenhaus und Altenheim in
der Region Zhytomyr bestimmt.
Rudert und Rüddenklau wissen aus den Berichten ihrer Partner, dass inzwischen das ganze Land Kriegsgebiet ist. Russische
Raketen sind schon in allen größeren Städten des Landes eingeschlagen – von Lwiw im Westen bis Charkiw im Osten und Odessa am Schwarzen Meer.
Es war Anfang Mai vergangenen Jahres, da schlugen nach monatelanger Ruhe die ersten Raketen in Kiew wieder ein. Seinerzeit
mussten die Deutschen mehrfach Schutzbunker aufsuchen. Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem die Hauptstadt nicht Ziel russischer Luftangriffe ist. „Verletzte und Amputierte gehören im dritten
Kriegsjahr nun schon zum normalen Bild auf den Straßen Kiews“, sagen die beiden.
Die Südosteuropahilfe ist nicht die einzige nordhessische Organisation, die die Ukraine mit Spenden unterstützt. Wertvolle
Hilfe leisten auch die Ukrainehilfe Wolfhagen, die katholische St.-Joseph-Gemeinde in Kassel-Rothenditmold oder auch der Christliche Hilfsdienst in Bad Hersfeld. Alle zusammen haben in den zwei
Jahren seit Kriegsbeginn Hunderte Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine transportieren lassen und Spendengelder für humanitäre Zwecke gesammelt. Dass diese Hilfe weitergehen muss, darin sind sich alle
Organisationen einig.
Kreis Kassel/Kiew – Militärexperten befürchten, dass die ukrainische Armee ihre Verteidigungsstellungen an der Front im Osten des Landes nicht mehr allzu lange wird halten können.
Es mangelt an frischen Einsatzkräften, an Waffen, an Munition.
„Wir hören von unseren ukrainischen Freunden und Partnern, dass die Situation im ganzen Land wesentlich prekärer ist als noch vor einem Jahr“, sagt Ottmar Rudert (Ostheim), der mit seinem
Partner Günter Rüddenklau (Westuffeln) die Ukraine seit Kriegsbeginn unterstützt. Gerade deshalb sei die zivile Hilfe, die Nordhessen leistet, wichtiger denn je.
Begleitet von HNA-Redakteur Gerd Henke sind die beiden heute Morgen aufgebrochen, um die von ihrer Südosteuropa-Hilfe betreuten Einrichtungen wieder aufzusuchen. „Wir müssen uns selber vor
Ort einen Eindruck davon verschaffen, was für unsere ukrainischen Partner am dringlichsten ist und was wir dazu beitragen können, die Not zu lindern.“ Mit ihren Pickups nehmen sie heute
zunächst Konserven, Sanitätsartikel, Rollstühle und Rollatoren mit in die Ukraine. Die Spendengüter sind für ein Krankenhaus und Altenheim in der Region Zhytomyr bestimmt.
Rudert und Rüddenklau wissen aus den Berichten ihrer Partner, dass inzwischen das ganze Land Kriegsgebiet ist. Russische Raketen sind schon in allen größeren Städten des Landes eingeschlagen
– von Lwiw im Westen bis Charkiw im Osten und Odessa am Schwarzen Meer.
Es war Anfang Mai vergangenen Jahres, da schlugen nach monatelanger Ruhe die ersten Raketen in Kiew wieder ein. Seinerzeit mussten die Deutschen mehrfach Schutzbunker aufsuchen. Seitdem
vergeht kaum ein Tag, an dem die Hauptstadt nicht Ziel russischer Luftangriffe ist. „Verletzte und Amputierte gehören im dritten Kriegsjahr nun schon zum normalen Bild auf den Straßen Kiews“,
sagen die beiden.
Die Südosteuropahilfe ist nicht die einzige nordhessische Organisation, die die Ukraine mit Spenden unterstützt. Wertvolle Hilfe leisten auch die Ukrainehilfe Wolfhagen, die katholische
St.-Joseph-Gemeinde in Kassel-Rothenditmold oder auch der Christliche Hilfsdienst in Bad Hersfeld. Alle zusammen haben in den zwei Jahren seit Kriegsbeginn Hunderte Tonnen Hilfsgüter in die
Ukraine transportieren lassen und Spendengelder für humanitäre Zwecke gesammelt. Dass diese Hilfe weitergehen muss, darin sind sich alle Organisationen einig. ➔ SEITE 6
HNA-Redakteur Gerd Henke will erfahren, was zwei Jahre Ukraine-Krieg mit den Menschen gemacht haben. Dafür reist er heute erneut ins Kriegsgebiet. Ab jetzt wird er eine Woche lang über seine
Reise berichten.HNA-Redakteur Gerd Henke will erfahren, was zwei Jahre Ukraine-Krieg mit den Menschen gemacht haben. Dafür reist er heute erneut ins Kriegsgebiet. Ab jetzt wird er eine Woche lang
über seine Reise berichten.HNA-Redakteur Gerd Henke will erfahren, was zwei Jahre Ukraine-Krieg mit den Menschen
gemacht haben. Dafür reist er heute erneut ins Kriegsgebiet. Ab jetzt wird er eine Woche lang über seine Reise berichten.
Kassel – Bombenalarm. Schutzbunker.
Familien, die ihre Väter, Ehemänner und Söhne vermissen. All das hat Journalist Gerd Henke im vergangenen Jahr miterlebt, als er für eine Woche in die Ukraine fuhr. Heute macht er sich erneut auf
den Weg. Warum? Das erzählt er im Interview.
Gerd, deine letzte Ukraine-Reise ist
nicht mal ein Jahr her. Hättest du gedacht, dass du in so kurzer Zeit wieder losfahren würdest?
Ja, ich bin schon damals davon
ausgegangen, dass ich das Land wieder bereisen würde. Als Deutscher, aber vor allem auch als Journalist empfinde ich es als meine Verantwortung, die Menschen vor Ort zu unterstützen, wo ich kann.
Und ich kann es eben vor allem, in dem ich über ihre Situation berichte. Das ist meine Chance zu helfen.
Damals wusstest du überhaupt nicht, was
du erleben würdest. Mit welchen Erwartungen fährst du diesmal los?
Die Lage wird diesmal eine andere sein
als im vergangenen Jahr. Sie ist prekärer. Vor einem Jahr gab es noch die Hoffnung, dass die Frühjahrsoffensive Geländegewinne der Ukraine bringen würde. Jetzt ist eher das Gegenteil der Fall.
Die russischen Verbände sind auf dem Vormarsch. Der Willen, ihr Land zu verteidigen, ist bei den Ukrainern aber offenbar weiterhin ungebrochen. Aber sie sind erschöpft. Der Krieg dauert schon
seit mehr als zwei Jahre an, er ist kräftezehrend. Diesen Unterschied werde ich vermutlich sehr stark bemerken.
Letztes Mal sagtest du, du habest keine
Angst – ist das diesmal anders?
Nein, so richtig Angst habe ich auch
diesmal nicht. Die journalistische Neugier und vor allem der Wunsch zu helfen, überwiegen wieder. Vielleicht muss ich auch noch einmal klarstellen: Ich bin kein Kriegsreporter. Ich trage weder
Helm noch Schutzweste. Wir bewegen uns nicht an der Front. Das garantiert aber natürlich keine Sicherheit. Im vergangenen Jahr mussten wir zwischenzeitlich in den Schutzbunker, als wir Station in
Kiew gemacht haben. Die Sirenen gehören zum Alltag der Menschen. Das haben wir hautnah miterlebt. Und das wird wahrscheinlich auch diesmal wieder so sein. Man muss sich bewusst machen, dass es
Tod und Verletzung nicht nur an der Front gibt. Das ganze Land befindet sich im Kriegszustand.
Wie hast du in der Zwischenzeit im
Kontakt mit deinen ukrainischen Bekannten gestanden?
Meine Partner aus dem Kreisteil
Hofgeismar, die schon seit Jahren Spenden auf den Weg bringen, und ich stehen regelmäßig im Kontakt mit unseren ukrainischen Bekannten. Wir tauschen uns per Videotelefonie mit den Smartphones
aus. Einen engen Kontakt pflegen wir mit unserer Dolmetscherin, die uns schon letztes Jahr begleitet hat. Sie informiert uns immer wieder über die aktuelle Lage vor Ort.
Was berichten sie?
Es ist offenbar so, dass die Trauer immer
größer wird. Denn es gibt kaum noch eine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hat. Die Zahlen der Verletzten und Toten steigen ja täglich. Das führt anderseits aber auch dazu, dass die Wut, die
Empörung, bei vielen sicher auch der Hass auf die russischen Angreifer größer werden. Kein Ukrainer kann sich vorstellen, unter russischer Diktatur und Knechtschaft zu leben.
Das Wort „Kriegsmüdigkeit“ hört man in
Verbindung mit dem Ukraine-Krieg immer wieder.
Ja, die Menschen in der Ukraine haben
nach wie vor einen riesengroßen Willen, ihr Land zu verteidigen. Aber seit dem Angriff sind mehr als zwei Jahre vergangen. Selbstverständlich sind sie kriegsmüde. Mittlerweile spricht man auch
von einem Vernichtungskrieg. Ein Krieg, der ein Volk vernichten soll – das macht was mit den Menschen.
Auch hierzulande hat man das Gefühl, dass
weniger intensiv über den Krieg gesprochen wird, als noch vor einem Jahr.
Meiner Meinung nach verbietet es sich,
hier in Deutschland von Kriegsmüdigkeit zu sprechen. Wir können überhaupt nicht kriegsmüde sein. Wir befinden uns in keinem Krieg. Vielleicht wird mancher müde ob der Fülle an schrecklichen
Nachrichten. Aber das ist keine angemessene Haltung. Wir sind in der Verantwortung, uns zu informieren, hinzuschauen und teilzunehmen. Sollte sich das insgesamt anders entwickeln, hielte ich das
für fatal. Dieser Krieg wütet mitten in Europa. Er betrifft uns.
Schiebst du die Gedanken an den Krieg
denn nicht mal beiseite?
Nein, es vergeht kein Tag, an dem ich die
aktuellen Nachrichten nicht verfolge.
Was sollte sich verändert haben, wenn du
wiederkommst?
Leider kann ich nur im Kleinen etwas
bewirken. Aber wenn die Ukrainer, die wir treffen, in dieser Woche wieder spüren, dass ihr Leid uns berührt und wir nach wie vor bei ihnen sind, an ihrer Seite stehen – dann haben wir etwas
erreicht. „Stand with Ukraine“ – diesen internationalen Satz will ich mit Leben füllen.
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Kassel – Bombenalarm. Schutzbunker. Familien, die ihre Väter, Ehemänner und Söhne
vermissen. All das hat Journalist Gerd Henke im vergangenen Jahr miterlebt, als er für eine Woche in die Ukraine fuhr. Heute macht er sich erneut auf den Weg. Warum? Das erzählt er im
Interview.
Gerd, deine letzte Ukraine-Reise ist nicht mal ein Jahr her. Hättest du gedacht, dass du in so kurzer Zeit wieder losfahren würdest?
Ja, ich bin schon damals davon ausgegangen, dass ich das Land wieder bereisen würde. Als Deutscher, aber vor allem auch als Journalist empfinde ich es als meine Verantwortung, die Menschen vor
Ort zu unterstützen, wo ich kann. Und ich kann es eben vor allem, in dem ich über ihre Situation berichte. Das ist meine Chance zu helfen.
Damals wusstest du überhaupt nicht, was du erleben würdest. Mit welchen Erwartungen fährst du diesmal los?
Die Lage wird diesmal eine andere sein als im vergangenen Jahr. Sie ist prekärer. Vor einem Jahr gab es noch die Hoffnung, dass die Frühjahrsoffensive Geländegewinne der Ukraine bringen würde.
Jetzt ist eher das Gegenteil der Fall. Die russischen Verbände sind auf dem Vormarsch. Der Willen, ihr Land zu verteidigen, ist bei den Ukrainern aber offenbar weiterhin ungebrochen. Aber sie
sind erschöpft. Der Krieg dauert schon seit mehr als zwei Jahre an, er ist kräftezehrend. Diesen Unterschied werde ich vermutlich sehr stark bemerken.
Letztes Mal sagtest du, du habest keine Angst – ist das diesmal anders?
Nein, so richtig Angst habe ich auch diesmal nicht. Die journalistische Neugier und vor allem der Wunsch zu helfen, überwiegen wieder. Vielleicht muss ich auch noch einmal klarstellen: Ich bin
kein Kriegsreporter. Ich trage weder Helm noch Schutzweste. Wir bewegen uns nicht an der Front. Das garantiert aber natürlich keine Sicherheit. Im vergangenen Jahr mussten wir zwischenzeitlich in
den Schutzbunker, als wir Station in Kiew gemacht haben. Die Sirenen gehören zum Alltag der Menschen. Das haben wir hautnah miterlebt. Und das wird wahrscheinlich auch diesmal wieder so sein. Man
muss sich bewusst machen, dass es Tod und Verletzung nicht nur an der Front gibt. Das ganze Land befindet sich im Kriegszustand.
Wie hast du in der Zwischenzeit im Kontakt mit deinen ukrainischen Bekannten gestanden?
Meine Partner aus dem Kreisteil Hofgeismar, die schon seit Jahren Spenden auf den Weg bringen, und ich stehen regelmäßig im Kontakt mit unseren ukrainischen Bekannten. Wir tauschen uns per
Videotelefonie mit den Smartphones aus. Einen engen Kontakt pflegen wir mit unserer Dolmetscherin, die uns schon letztes Jahr begleitet hat. Sie informiert uns immer wieder über die aktuelle Lage
vor Ort.
Was berichten sie?
Es ist offenbar so, dass die Trauer immer größer wird. Denn es gibt kaum noch eine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hat. Die Zahlen der Verletzten und Toten steigen ja täglich. Das führt
anderseits aber auch dazu, dass die Wut, die Empörung, bei vielen sicher auch der Hass auf die russischen Angreifer größer werden. Kein Ukrainer kann sich vorstellen, unter russischer Diktatur
und Knechtschaft zu leben.
Das Wort „Kriegsmüdigkeit“ hört man in Verbindung mit dem Ukraine-Krieg immer wieder.
Ja, die Menschen in der Ukraine haben nach wie vor einen riesengroßen Willen, ihr Land zu verteidigen. Aber seit dem Angriff sind mehr als zwei Jahre vergangen. Selbstverständlich sind sie
kriegsmüde. Mittlerweile spricht man auch von einem Vernichtungskrieg. Ein Krieg, der ein Volk vernichten soll – das macht was mit den Menschen.
Auch hierzulande hat man das Gefühl, dass weniger intensiv über den Krieg gesprochen wird, als noch vor einem Jahr.
Meiner Meinung nach verbietet es sich, hier in Deutschland von Kriegsmüdigkeit zu sprechen. Wir können überhaupt nicht kriegsmüde sein. Wir befinden uns in keinem Krieg. Vielleicht wird mancher
müde ob der Fülle an schrecklichen Nachrichten. Aber das ist keine angemessene Haltung. Wir sind in der Verantwortung, uns zu informieren, hinzuschauen und teilzunehmen. Sollte sich das insgesamt
anders entwickeln, hielte ich das für fatal. Dieser Krieg wütet mitten in Europa. Er betrifft uns.
Schiebst du die Gedanken an den Krieg denn nicht mal beiseite?
Nein, es vergeht kein Tag, an dem ich die aktuellen Nachrichten nicht verfolge.
Was sollte sich verändert haben, wenn du wiederkommst?
Leider kann ich nur im Kleinen etwas bewirken. Aber wenn die Ukrainer, die wir treffen, in dieser Woche wieder spüren, dass ihr Leid uns berührt und wir nach wie vor bei ihnen sind, an ihrer
Seite stehen – dann haben wir etwas erreicht. „Stand with Ukraine“ – diesen internationalen Satz will ich mit Leben füllen.Kassel – Bombenalarm. Schutzbunker. Familien, die ihre Väter, Ehemänner
und Söhne vermissen. All das hat Journalist Gerd Henke im vergangenen Jahr miterlebt, als er für eine Woche in die Ukraine fuhr. Heute macht er sich erneut auf den Weg. Warum? Das erzählt er im
Interview.
Gerd, deine letzte Ukraine-Reise ist nicht mal ein Jahr her. Hättest du gedacht, dass du in so kurzer Zeit wieder losfahren würdest?
Ja, ich bin schon damals davon ausgegangen, dass ich das Land wieder bereisen würde. Als Deutscher, aber vor allem auch als Journalist empfinde ich es als meine Verantwortung, die Menschen vor
Ort zu unterstützen, wo ich kann. Und ich kann es eben vor allem, in dem ich über ihre Situation berichte. Das ist meine Chance zu helfen.
Damals wusstest du überhaupt nicht, was du erleben würdest. Mit welchen Erwartungen fährst du diesmal los?
Die Lage wird diesmal eine andere sein als im vergangenen Jahr. Sie ist prekärer. Vor einem Jahr gab es noch die Hoffnung, dass die Frühjahrsoffensive Geländegewinne der Ukraine bringen würde.
Jetzt ist eher das Gegenteil der Fall. Die russischen Verbände sind auf dem Vormarsch. Der Willen, ihr Land zu verteidigen, ist bei den Ukrainern aber offenbar weiterhin ungebrochen. Aber sie
sind erschöpft. Der Krieg dauert schon seit mehr als zwei Jahre an, er ist kräftezehrend. Diesen Unterschied werde ich vermutlich sehr stark bemerken.
Letztes Mal sagtest du, du habest keine Angst – ist das diesmal anders?
Nein, so richtig Angst habe ich auch diesmal nicht. Die journalistische Neugier und vor allem der Wunsch zu helfen, überwiegen wieder. Vielleicht muss ich auch noch einmal klarstellen: Ich bin
kein Kriegsreporter. Ich trage weder Helm noch Schutzweste. Wir bewegen uns nicht an der Front. Das garantiert aber natürlich keine Sicherheit. Im vergangenen Jahr mussten wir zwischenzeitlich in
den Schutzbunker, als wir Station in Kiew gemacht haben. Die Sirenen gehören zum Alltag der Menschen. Das haben wir hautnah miterlebt. Und das wird wahrscheinlich auch diesmal wieder so sein. Man
muss sich bewusst machen, dass es Tod und Verletzung nicht nur an der Front gibt. Das ganze Land befindet sich im Kriegszustand.
Wie hast du in der Zwischenzeit im Kontakt mit deinen ukrainischen Bekannten gestanden?
Meine Partner aus dem Kreisteil Hofgeismar, die schon seit Jahren Spenden auf den Weg bringen, und ich stehen regelmäßig im Kontakt mit unseren ukrainischen Bekannten. Wir tauschen uns per
Videotelefonie mit den Smartphones aus. Einen engen Kontakt pflegen wir mit unserer Dolmetscherin, die uns schon letztes Jahr begleitet hat. Sie informiert uns immer wieder über die aktuelle Lage
vor Ort.
Was berichten sie?
Es ist offenbar so, dass die Trauer immer größer wird. Denn es gibt kaum noch eine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hat. Die Zahlen der Verletzten und Toten steigen ja täglich. Das führt
anderseits aber auch dazu, dass die Wut, die Empörung, bei vielen sicher auch der Hass auf die russischen Angreifer größer werden. Kein Ukrainer kann sich vorstellen, unter russischer Diktatur
und Knechtschaft zu leben.
Das Wort „Kriegsmüdigkeit“ hört man in Verbindung mit dem Ukraine-Krieg immer wieder.
Ja, die Menschen in der Ukraine haben nach wie vor einen riesengroßen Willen, ihr Land zu verteidigen. Aber seit dem Angriff sind mehr als zwei Jahre vergangen. Selbstverständlich sind sie
kriegsmüde. Mittlerweile spricht man auch von einem Vernichtungskrieg. Ein Krieg, der ein Volk vernichten soll – das macht was mit den Menschen.
Auch hierzulande hat man das Gefühl, dass weniger intensiv über den Krieg gesprochen wird, als noch vor einem Jahr.
Meiner Meinung nach verbietet es sich, hier in Deutschland von Kriegsmüdigkeit zu sprechen. Wir können überhaupt nicht kriegsmüde sein. Wir befinden uns in keinem Krieg. Vielleicht wird mancher
müde ob der Fülle an schrecklichen Nachrichten. Aber das ist keine angemessene Haltung. Wir sind in der Verantwortung, uns zu informieren, hinzuschauen und teilzunehmen. Sollte sich das insgesamt
anders entwickeln, hielte ich das für fatal. Dieser Krieg wütet mitten in Europa. Er betrifft uns.
Schiebst du die Gedanken an den Krieg denn nicht mal beiseite?
Nein, es vergeht kein Tag, an dem ich die aktuellen Nachrichten nicht verfolge.
Was sollte sich verändert haben, wenn du wiederkommst?
Leider kann ich nur im Kleinen etwas bewirken. Aber wenn die Ukrainer, die wir treffen, in dieser Woche wieder spüren, dass ihr Leid uns berührt und wir nach wie vor bei ihnen sind, an ihrer
Seite stehen – dann haben wir etwas erreicht. „Stand with Ukraine“ – diesen internationalen Satz will ich mit Leben füllen.
Kreis
Kassel – Seit zwei Jahren muss sich die Ukraine dem
verbrecherischen Angriffskrieg Russlands erwehren. Dass das Land bis heute der Aggression standhält, liegt auch an der großen Solidarität, die dem überfallenen Land entgegengebracht wird. Anteil
an der zivilgesellschaftlichen Unterstützung haben auch viele Menschen im Landkreis Kassel.
Gleich in den ersten Tagen nach
Kriegsbeginn fuhren die ersten privaten Helfer aus eigener Initiative an die ukrainischen Grenzen, sammelten dort geflüchtete Frauen, Kinder und Alte ein und brachten sie in den Landkreis.
Schon bald wurden solche
Transferfahrten auch von Vereinen und Initiativen organisiert. Laut der Ausländerbehörde des Landkreises Kassel halten sich derzeit mehr als 3500 Ukrainer hier auf.
Darüber hinaus unterstützen Vereine,
Verbände, Schulen, Gemeinden, Supermärkte und zahlreiche Firmen die Menschen in der Ukraine mit Sach- und Geldspenden. Allein die Südosteuropahilfe von Ottmar Rudert und Günter Rüddenklau hat
seit Kriegsbeginn 40 Lkw-Transporte in das Land geschickt.
In Kassel ist es der Malteser
Auslandsdienst, der zusammen mit der katholischen Kirchengemeinde St. Josef regelmäßig Kleidung, Medikamente und Gebrauchsgüter in die Ukraine schickt.
Auch im Kreisteil Wolfhagen gibt es
nach wie vor große Unterstützung. Nachdem die Ukrainehilfe Wolfhagen zu Kriegsbeginn viele Geflüchtete mit Fahrzeugen in Sicherheit gebracht hatte, folgten zahllose Transporte mit Hilfsgütern.
Unterstützt wird dort unter anderem ein Kinderheim. Alle Hände voll zu tun haben die Ehrenamtlichen immer noch mit der Unterstützung der Geflüchteten vor Ort.
Für einige konnten bereits
Arbeitsstellen, zum Beispiel im Kindergarten oder Seniorenheim, gefunden werden. Andere arbeiten ehrenamtlich, zum Beispiel mit Menschen mit Behinderung im Bathildisheim.
Aktive und engagierte
Flüchtlingsarbeit gibt es in vielen Kommunen des Kreises. Unter anderem in Hofgeismar, Zierenberg, Bad Emstal und Liebenau.
Aktuell kommen immer noch Geflüchtete
im Landkreis an. Meist sind es Frauen mit Kindern, deren Männer im Krieg gefallen sind. Der Krieg fordert Zehntausende Opfer. Vielen verwundeten Soldaten müssen Gliedmaßen amputiert werden. Eine
Hofgeismarer Initiative fertigt seit Kurzem Prothesen an.